Wir sprechen mit Dr. Ewa Czapińska-Ciepiela, MD, einer auf Migränebehandlung spezialisierten Neurologin und Vorstandsmitglied der Polnischen Kopfschmerzgesellschaft, über Migräne und moderne Methoden zur Behandlung dieser häufigsten neurologischen Erkrankung des 21. Jahrhunderts.

Schmerz ist ein Signal dafür, dass etwas Störendes im Körper passiert. Sind Kopfschmerzen ein Zeichen dafür, dass etwas in Ihrem Kopf nicht richtig funktioniert?

Ewa Czapińska - Ciepiela:Nicht unbedingt. Kopfschmerzen, die sog sekundär oder symptomatisch, d. h. auf pathologische Veränderungen hinweisend, z. B. eine intrazerebrale Blutung oder ein Hirntumor, machen nur einen Bruchteil eines Prozents aller Kopfschmerzen aus. Am häufigsten sind die sog primäre Kopfschmerzen, einschließlich der sogenannten psychogener oder stressbedingter Spannungskopfschmerz. Etwa 60 Prozent von ihnen erleben es. Europäer.

Und in welche Kategorie fällt der Migränekopf?

E.C.-C.:Migräne-Kopfschmerzen gehören zu den primären Kopfschmerzen. Wissenschaftliche Studien weisen zunehmend auf die genetischen Determinanten der Migräne hin. Wir wissen, dass es bestimmte Gene gibt, die Sie für Migräne prädisponieren können, aber wir wissen nicht, welches oder wie viele es gibt. Wahrscheinlich sind diese Gene für die Fehlfunktion von Ionenkanälen und Neurotransmittern im Gehirn verantwortlich, die zu dem Phänomen der Hypererregung, also der Überreizung von Nervenzellen führt. Dieses Phänomen wiederum bewirkt die Freisetzung von Entzündungssubstanzen wie CGRP an den peripheren Enden des Trigeminusnervs, der seinen Kern im Hirnstamm hat. Die Einwirkung von Entzündungsstoffen bewirkt eine Erweiterung der meningealen Arteriolen, also der Äste der Halsschlagader, und aufgrund ihrer reichen Innervation verursacht ihre Erschlaffung Schmerzen.

Das heißt, wenn meine Großmutter Migräne hätte, würde sie mich eines Tages auch "einholen" …?

E.Ch.-C.:Entspann dich. Nicht jeder mit einer Familiengeschichte von Migräne muss es haben. Ob Sie Migräne bekommen, hängt davon ab, ob Sie einen sogenannten „Migräne-Schrittmacher“ im Kopf haben, also ob Ihr Gehirn eine gewisse Veranlagung hat, abnorme Impulse zu erzeugen oder nicht.

Da werden "gewöhnliche" Kopfschmerzen und Migräneschmerzen so genannt primäre Kopfschmerzen, wie unterscheidet man sie?

E.C.-C.:Nach diagnostischen Kriterien. Typische Migräneschmerzen sind solche, die 4 bis 72 Stunden anh alten. Dies ist das wichtigste Kriterium. Außerdem: Dieser Schmerz ist normalerweiseer bedeckt die Hälfte des Kopfes (der sogenannte Halbschmerz), ist ein pulsierender Schmerz (es ist die Wirkung pulsierender Blutgefäße) und hat auch eine mittlere oder hohe Intensität oder sogar leichte körperliche Anstrengung, z.B. Treppensteigen macht diesen Schmerz noch schlimmer. Migräneschmerzen können auch von Übelkeit, Erbrechen und Überempfindlichkeit gegenüber bestimmten Reizen wie Licht oder Lärm begleitet sein. Wenn Sie Migräneschmerzen hätten, würden Sie diese sofort von „gewöhnlichen“ unterscheiden.

Und wenn ich schon weiß, dass es Migräne ist, soll ich dann mit ihm zum Arzt?

E.Ch.-C.:Das wäre das Beste. Leider ist dies nicht immer der Fall. Ich sehe Patienten – weil Frauen am häufigsten unter Migräne leiden – die seit bis zu 30 Jahren unter Migräne leiden. Warum haben sie sich nicht früher beworben? Weil die Schmerzen unterschiedlich stark waren, unterschiedliche Formen annahmen, weil die Patienten sie mit rezeptfreien Schmerzmitteln behandelten oder leider oft von ihren Ärzten hörten, dass " ihre Schönheit "dass"sich an die Schmerzen gewöhnen müssen"usw. Und erst wenn Migräne so stark oder häufig wurde, dass sie Leiden verursachte und sie daran hinderte, ein normales Privat- und Berufsleben zu führen, dann suchten die Patienten nach einem Spezialisten und einer Behandlung.

Wer hilft uns bei der Behandlung von Migräne?

E.Ch.-C.:Ich kenne einen Hausarzt, der Kopfschmerzen behandelt und sich damit auskennt. Leider - das ist eher eine Ausnahme. Viele Ärzte spielen Migräne herunter und raten Patienten von einer Behandlung ab. Also schlage ich vor: Gehen wir zu einem Neurologen, der prüft, ob eine bildgebende Untersuchung des Gehirns notwendig ist, um sekundäre Ursachen von Kopfschmerzen auszuschließen, und ob der Patient dann von einem auf Migräne spezialisierten Neurologen betreut werden sollte. Denn nicht jeder Neurologe ist darauf spezialisiert.

Und wenn ich die Ergebnisse solcher spezialisierter Tests nicht habe, was soll ich dann zum "Migräne-Arzt" bringen?

E.Ch.-C.:Auch ohne Testergebnis kommt man nicht mit "leeren Händen" zu ihm, denn kein Test sagt so viel aus wie der Patient selbst und seine Erfahrung. Kennen Sie das Migräne-Tagebuch? Sie sind sogar in einer handlichen und einfach zu bedienenden elektronischen Form als Anwendungen für mobile Geräte verfügbar. Das sind Hefte, in denen der Patient Informationen zu Kopfschmerzen notiert, z. wann sie auftraten, unter welchen Umständen, wie lange sie anhielten, was die Symptome waren.

Wie kann ich meinem Arzt sonst noch bei der Diagnose und Behandlung von Migräne helfen?

E.Ch.-C.:Seien Sie ehrlich und geben Sie zu, welche und wie viele Medikamente Sie gegen Kopfschmerzen einnehmen. Kürzlich hatte ichein Patient, der mir beim 4. Besuch sagte, dass er Medikamente nehme. Denn die aus der Apotheke ohne Rezept zählte er gar nicht. Und es kam zu mir, als diese nicht mehr funktionierten.

Genau - wenn Schmerzmittel nicht wirken, was dann …?

E.Ch.-C.:Die Migränebehandlung basiert auf zwei Therapieformen. Die erste ist die sog Notfallbehandlung. Wie der Name schon sagt, soll der Schmerz schnell gestoppt werden. Es verwendet die bereits erwähnten Schmerzmittel und die sog Triptane. Und hier gibt es 2 Schulen. Einige Spezialisten beginnen mit Schmerzmitteln und empfehlen dann Triptane. Und andere, und ich bin einer von ihnen, führen sofort Triptane ein, weil sie sicherer sind und die Schmerzen schneller stoppen. Die Sache ist, dass Triptane und komplexe Schmerzmittel, die mehr als einen Inh altsstoff enth alten, bis zu 8 Mal im Monat verwendet werden können, da sie bei häufigerer Einnahme die sogenannten verursachen. Rebound-Kopfschmerzen, d. h. Schmerzen, die durch ein Übermaß an Schmerzmitteln verursacht werden.

Und die zweite therapeutische Methode ist …?

E.Ch.-C.:Dies ist eine vorbeugende Behandlung. Sie werden aktiviert, wenn der Patient das Gefühl hat, dass die Migräne so stark oder häufig ist, dass sie einen Ausschluss aus dem Alltag verursachen und nicht gestoppt werden können. Die Einnahme von vorbeugenden Medikamenten, d. h. Betablockern, Kalziumantagonisten, Antihypertensiva, Antiepileptika und Antidepressiva, muss immer von der Entscheidung des Patienten getragen werden. Diese Medikamente werden ständig, jeden Tag eingenommen, unabhängig davon, ob Schmerzen auftreten oder nicht. Diese Medikamente tragen dazu bei, die Dauer und Häufigkeit von Migräneattacken und die damit einhergehenden Symptome zu reduzieren.

Vorbeugende Medikamente reduzieren Migräneschmerzen, aber sie dienen nicht nur der Behandlung von Migräne. Gibt es Medikamente, die speziell für Migräne erfunden wurden?

E.Ch.-C.:Ja - sie sind da. Das nennt man biologische Drogen. Dies ist eine absolute Neuheit und ein Durchbruch in der Behandlung von Migräne, obwohl klinische Studien bereits seit mehreren Jahren laufen. Biologische Medikamente sind Antikörper, die im Endstadium von Migräneschmerzen auf diese Entzündungsstoffe in den meningealen Gefäßen wirken. Derzeit ist nur Erenumab als biologisches Arzneimittel erhältlich, und das Registrierungsverfahren für die nächsten drei: Fremanezumab, Galcanezumab und Eptinezumab läuft noch.

Du brauchst also nur ein Tablet …?

E.C.-C.:Kein Tablet. Biologische Arzneimittel gegen Migräne werden als Injektion unter die Haut in den Arm oder Oberschenkel genommen. Und eine solche Injektion wird einmal im Monat verabreicht. Wie angegeben - bei Patienten, die an 4 oder mehr Tagen im Monat Migräneschmerzen haben. Wichtig - derzeit können sie nicht von Patienten mit systemischen Erkrankungen eingenommen werdenKreislauf nach einem Herzinfarkt oder Schlaganfall sowie schwangere und stillende Frauen.

Stimmt es, dass … Botox auch zur Behandlung von Migräne eingesetzt wird?

E.Ch.-C.:Botulinumtoxin wird zwar eingesetzt, aber mal ganz genau: nur zur Behandlung der chronischen Migräne, also derjenigen, bei der Kopfschmerzen auftreten mindestens 15 Tage im Monat auftreten und mindestens 8 Tage lang die Merkmale einer Migräne aufweisen. Botulinumtoxin wird an genau definierten Stellen an Kopf (Stirn, Schläfen, Hinterhaupt), Nacken und Schultern injiziert. Die Anzahl der Injektionen pro Behandlung beträgt 31 bis 39. Die Behandlung wird alle 12 Wochen wiederholt, bis eine Remission der Migräne erreicht ist.

Herr Doktor, Sie sagen und schreiben: Migränepatient oder Migränepatient?

E.C.-C.:Definitiv: Migräne. Denn Migräne ist eine Krankheit. Sein Fluch ist, dass sowohl über sie als auch über die Patienten selbst so leichthin gesagt wird:dein Kopf tut weh - na und, nimm das Puder, geh an die frische Luft, setz dich ein bisschen hin und es ist vorbei. Und der Schmerz geht nicht weg. Wussten Sie, dass laut Weltgesundheitsorganisation die erste neurologische Ursache für Behinderungen bei Menschen unter 50 Jahren nicht Krankheiten wie Multiple Sklerose oder Schlaganfall sind, sondern Migräne? In meiner Praxis höre ich mir verschiedene Geschichten von Patienten an, die seit vielen Jahren mit Migräne leben. Manche von ihnen haben schon lange ihre Jobs verloren, ihre Familien, haben aufgehört zu träumen, zu lieben, auf Menschen zuzugehen, irgendwelche Pläne zu haben. Sie leben mit den Schmerzen der Migräne, und wenn sie weggehen, haben sie Angst, dass sie wiederkommen. Und glauben Sie mir, ich werde nie eine Patientin mit genetisch bedingter Muskelatrophie vergessen, die im Rollstuhl in meine Praxis kam und um Hilfe bat und sagte, dass es nicht die Lähmung von Armen und Beinen sei, sondern dass Migräne ihr Leben ruiniere

Ewa Czapińska-Ciepiela, MD, PhDSie absolvierte die Medizinische Fakultät der Jagiellonen-Universität. Sie erwarb den Titel eines Facharztes für Neurologie und dann einen Doktor der medizinischen Wissenschaften an der Universität Warschau. Er arbeitet im Behandlungszentrum für Epilepsie und Migräne in Krakau. In seiner klinischen Praxis befasst er sich unter anderem mit Diagnose und Behandlung verschiedener Arten von Kopfschmerzen und Epilepsie. Sie absolvierte einen Kurs zur Diagnose und Behandlung von Migräne in Rom im Rahmen des Stipendiums der European Federation of Headaches und ein klinisches Praktikum an der Christian-Doppler-Klinik in Salzburg. Sie erhielt in Istanbul ein Zertifikat einer Expertin für die Behandlung von chronischer Migräne mit Botulinumtoxin und schult seitdem Ärzte in Polen in der Anwendung dieser Methode. Er ist Vorstandsmitglied der Polnischen Kopfschmerzgesellschaft. Mitorganisator der JahrestagungÄrzten und Psychologen gewidmet „Psychosoziale Aspekte der Epilepsie“ in Krakau.

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